01.08.2018

Reutlinger General-Anzeiger

Die Burning-Eagle-Macher haben sich dieses Jahr dem Wandel verschrieben. Das fängt beim Toilettenwagen an

REUTLINGEN. Um ein Haar hätten die Macher des Burning-Eagle-Festivals die aktuelle Ausgabe am 10. und 11. August ausfallen lassen. Nicht weil die letzte Runde des Indiepopfests unter Bäumen beim Listhof im Sommer 2017 so schlecht lief, sondern so gut. In die Leere der Glückseligkeit danach hallte die Frage, ob es überhaupt Sinn hatte, das wiederholen zu wollen. »Wir dachten, viel näher kommen wir an unsere Utopie nicht heran«, erklärt Henrik Junger, einer der beiden Vordenker des Burning Eagle. Dennis Adler, der zweite Kopf des Festivals, betont: »Wir wollen auf keinen Fall in eine Dienstleisterrolle geraten, dass wir halt jedes Jahr irgendwie ein Festival liefern.«

Aus dem Pausenjahr wurde nichts. Protest kam aus den eigenen Familien, kam auch von Klaus Kupke, der vonseiten der Stadt das Festival treu begleitet. Adler und Junger gaben nach: Es würde auch 2018 ein Festival geben. Jedoch eines, das sich dem Wandel verschrieb.

Der Wandel holte die Burning-Eagle-Macher anders ein als erwartet. Es gab Terminkollisionen mit dem Umweltbildungszentrum Listhof, auf dessen Gelände die Konzerte laufen, mit dem RMC, auf dessen Gelände die Burning-Eagle-Gäste campieren. Man musste nach hinten rücken, was Weiteres nach sich zog. Der gewohnte Licht- und Tontechniker konnte nicht und musste ersetzt werden. Der Stand mit Biolimonade und der Pasta-Stand von Alb-Gold fielen aus. Auch der Bio-Wein-Anbieter musste passen.

Austausch mit Slow Food

Andere Essensanbieter wie die Ofenfreunde, Querbeet und der Crepe-Stand sind jedoch wieder dabei. Für den Weinstand fanden Adler und Junger mit der KSK Vintage-Winery aus Stuttgart-Rohracker einen passenden Ersatz. Mit ihrer Philosophie liegen die Stuttgarter ganz auf der Linie des Burning-Eagles: Durch Crowdfunding und viel ehrenamtliches Engagement getragen geht es ihnen darum, den Weinbau in alten Stuttgarter Hanglagen wiederzubeleben.

Den Kontakt zur Vintage Winery vermittelte Ingo Plessing von Siow Food Stuttgart. Mit Siow Food haben die Burning-Eagle-Macher einen Partner entdeckt, der ihrer Philosophie des echten Lebens sehr nahe steht. Von der Zusammenarbeit versprechen sie sich weitere Impulse für den kulinarischen Bereich. Vom Wein abgesehen wird sich das aber frühestens im nächsten Jahr auszahlen.

Die größte organisatorische Revolution: Es wird einen Toilettenwagen geben, dazu einen Dusch- und Toilettenwagen auf dem Campinggelände. Dass es Proteststürme von Liebhabern der Ökoklos geben wird, wie sie zuletzt im Einsatz waren, ist kaum zu befürchten. Sie waren okay, aber das Gefummel mit der geruchsbindenden Streu aus Holzspänen war gewöhnungsbedürftig. Hinter den Kulissen gab es zudem Probleme mit der Anbieterfirma. Also suchten Junger und Kupke fieberhaft nach dem Kanalisationszugang, den es Plänen zufolge geben sollte. Im zweiten Anlauf wurden sie fündig. Der Abwasserschacht erwies sich, vom Geröll befreit, als eben noch nahe genug, um ihn mit einem Abwasserschlauch vom Toilettenwagen aus zu erreichen.

Auch musikalisch ist es ein Neubeginn auf der großen und der kleinen Bühne auf der Pfadfinderwiese beim Listhof. Statt prominenten Headlinern steht wieder das Entdecken von spannenden Newcomern im Vordergrund. Was so weit geht, dass der erste Künstler am Festivalfreitag, Tiflis Transit, weder Album noch EP vorweisen kann. Die drei Songs, die er Junger und Adler zukommen ließ, überzeugte sie jedoch sofort.

BRTHR aus Stuttgart, kurz für »Brother«, haben 2017 ein Album herausgebracht. Sie bieten Lo-Fi-Folk mit Americana- und Blues-Einflüssen, »erdig, ehrlich und authentisch«. Mit Tinpan Orange folgt ein australisches Geschwisterpaar mit verspieltem Folk und klassischen Geigensoli, beeinflusst von Psychedelic Rock. Dann lassen Trudy and The Romance aus Liverpool 50er-Anklänge und Rock’n’Roll aufleben. Zwei türkische Bezüge bringt der Freitagabend: zuerst mit Nilüfer Yanya aus London – sie singt Songs zwischen Indiepop, Soul und R’n’B; danach mit Altin Gün aus Amsterdam. Die Musiker mit indonesischen und türkischen Wurzeln verarbeiten türkische Folklore mit Instrumenten wie Ney und Saz zu psychedelischem Funk. Den Abschluss macht die Gruppe AG Form mit industriell geprägtem Postrock.

Den Samstag eröffnen um 14 Uhr Walking on Rivers aus Dortmund »mit klassischem Pop in Holzfällerhemden«, wie Dennis Adler formuliert. Danach führt das Dresdener Trio No King. No Crown mit zarter Stimme in die Welt melancholischer Singer-Songwriter-Musik.

Auch Comedy-Zauberer dabei

Mit dem Comedy-Zauber-Duo Siegfried und Joy ist wieder ein Kleinkunst-Act dabei. Gefolgt von dem Iren Seamus Fogerty, der mit seinen verschrobenen, »frickelnden« (Adler) Songs ganz auf der Burning-Eagle-Linie liegt. Mit Adele Nigro, die als Any Other auftritt, ist erstmals eine Sängerin aus Italien dabei. Die erst 21-Jährige verpackt den Alltag in mal poetische, mal rotzig-wütende Songs.

Mit Swutscher aus Hamburg geht’s dann auf der Hauptbühne feierselig zur Sache – im Sinne eines »verrückten Zirkus« oder einer »Hafenkneipe voller Wahnsinn«, wie Junger beschreibt. Sam Vance-Law besingt mit großer Pop-Geste Schönheit und Vergänglichkeit, frönt dem Narzissmus und beschäftigt sich in seinen Songs mit dem Thema Homosexualität.

Das Finale auf der Hauptbühne gestalten Pom Poko aus Trondheim mit energiereichem Noise-Pop und »einer Frontfrau wie eine Explosion«. Der Ausklang mit Ari Roar aus Dallas/Texas wird dann auf der kleinen Bühne was zum Durchatmen. Sein Album heißt nicht umsonst »Calme Down«. Mal sehen, ob die Burning-Eagle-Macher danach erneut in eine Leere der Glückseligkeit fallen.